Der habituelle Zehenspitzengang

 

 

Nicht selten kommen junge Kinder in die pädiatrischen Praxen, die meist oder immer mit dem Vorfuß auftreten. Und das, obwohl sie bereits souverän laufen gelernt haben. Solche Patienten können oder wollen nicht über die Ferse abrollen. Eltern und Therapeuten haben den Eindruck, dass das Laufverhalten solcher Kinder eine schlechte Angewohnheit, eine Marotte ist. Erfolglos aber bleiben sowohl ein „gutes Zureden“, als auch Einlagen und Physiotherapie.

 

Wenn man genau hinschaut, kann man bei einigen dieser Kinder erkennen, dass die mm. gastrocnemii verkürzt sind und die Achillessehnen zu lang erscheinen. Bei einigen Kindern sind auch die Streckmuskeln und die dorsalen Sehnen im Oberschenkel verkürzt, erkennbar in Form einer deutlichen Beugehemmung im Hüftgelenk.

 

Das Beschwerdebild unterscheidet sich signifikant von einer zentralen Spastik. Denn es besteht keinerlei Bewegungsstörung, keine Asymmetrie, die oberen Extremitäten sind nicht betroffen und eine begleitende kognitive Einschränkung kommt auch nicht vor. Pathologisch verstärkte Beineigenreflexe und Pyramidenbahnzeichen sind nicht vorhanden.

 

Der habituelle Zehenspitzengang muss behandelt werden. Er verformt auf Dauer die Füße, die Vorfüße werden dick und breit. Es kommt zu Kontrakturen der Sprunggelenke, die nur mehr schwer zu beheben sind, ganz abgesehen von den Hänseleien, denen die betroffenen Kinder ausgesetzt sind.

 

Das Leiden ist genetisch bedingt. Untersuchungen haben Veränderungen ähnlich den Genveränderungen bei angeborenen Neuropathien gezeigt.

 

Die Therapie bedient sich manueller, osteopathischen und schließlich auch orthetischen, medikamentöser und operativer Techniken. Sie hat die dorsalseitige Dehnung von Muskeln und Sehnen zum Ziel, sowie eine Gewöhnung an das Abrollen des Fußes mit Hilfe von speziellen Einlagen. Unter die distalen Metatarsalköpfchen werden Pelotten in unterschiedlicher Höhe gesetzt sowie unter der Ferse ein abgeschrägter medialer Keil (Pyramideneinlagen). Die Einlage ist ansonsten völlig flach, keine medialen Erhöhung und kein Fersenbett sollen ihre Wirkung beeinträchtigen. Diese Einlagen werden nach Maß gefertigt (Pyramideneinlagen). Nicht jeder Orthopädietechniker kennt dieses Verfahren.

 

Es gibt Fälle, bei denen selbst die Kombination aus osteopathischen und orthetischen Maßnahmen nicht (mehr) ausreicht. Für solche Kinder gibt es zwei weitere Optionen: die Injektion von Botulinustoxin in den muscul. gastrocnemius und - im extrem seltenen Fall - die operative Verlängerung der Achillessehne. Beide Eingriffe sind in geübter Hand kein Hexenwerk.